Sonntag, 25. Mai 2014

Superzelle vs. Multizellige Squalline - Ein meteorologischer Indizienprozess

Schönen Wahlsonntag !


Wie den Nachrichten , diversen Zeitungen und Facebook-Einträgen ja zu entnehmen war, hat gestern nach langer *Durststrecke* ein ordentlicher Brummer die Wienerstadt heimgesucht.

Der Blogger - ein Urwiener (definitionsgemäß ein Hybrid aus Niederösterreich und dem Burgenland) kann da, wenn in der Heimat was passiert nicht wirklich aus seiner Haut und muss seinen Senf dazu abgeben bzw. die Sache mal scheibchenweise auseinandernehmen.

Die Frage, die ich in dem Schauprozess beantworten möchte kommt dem Urteil gleich: War es eine Superzelle oder was anderes ?

Wieso kommt überhaupt eine Superzelle in Verdacht ?

Nun ...

Es gab ein Indiz:


Da, um 14:50 war auf der UBIMET Webcam, die nach Südwesten auf das heranziehende Konstrukt blickte etwas zu sehen... da hing was runter, was entfernt an einen Trichter erinnerte... bevor wir dem Trichter auf die Spur gehen und ihn bzw. andere aus anderer Perspektive beleuchten, zurück zu den Basics.

Was ist eine Superzelle ?

Sie ist eine spezielle Gewitterzelle, die einen sehr hohen Grad an Organsiation aufweist. Per Definitionem ist es eine Einzelzelle, also existiert für sich, abgetrennt /unabhängig von anderen Zellen über eine genügend lange Zeit (mehr als eine halbe Stunde/Stunde).

Definierend - und hierzu braucht es die lange Lebensdauer - für die Superzelle ist eine so genannte Mesozyklone. Die Mesozyklone kann man als solche nicht sehen, denn Mesozyklone heißt einfach nur: Eine Zyklone (Tiefdruckgebiet) auf der Mesoskala. Die Mesoskala fasst Phänomene zusammen, die eine Ausdehnung von ein paar bis 50 km haben und wird auch noch in Alpha, Beta und Gamma unterteilt.

In der Superzelle ist diese Zyklone am besten in mittleren Schichten (ein paar km über Boden) ausgeprägt. Diese Zyklone existiert so lange, dass der Wind darauf reagieren kann, ein Gleichgeichtswind zwischen Zentrfugal- und Druckgradientkraft stellt sich ein und wirbelt Wolkenmasse um das Zentrum der Zyklone, sodass der Wolkenturm weithin sichtbar zu rotieren beginnt.

Die Stärke der Mesozyklone - und das ist ein Ergebnis der normalen Bewegungsgleichungen in der Atmosphäre und in keiner Art und Weise besonders, hängt wenn man es einfach sagen möchte vom Produkt zwischen Vertikaler Winscherung und Stärke des Aufwindes ab. Der Aufwind in einem Gewitter wiederum ist proportional der Wurzel aus zu Verfügung stehender CAPE. In Blogterms kann man also sagen.. die Mesozyklonigkeit einer Zelle ist proportional dem Produkt aus Scherung und CAPE.

Ist beides hoch (USA-Fall) ist die Rotation enorm, es gibt aber auch Fälle mit wenig Cape und enormer Scherung die zum selben Ziel führen (England-Fall) oder Bombencape mit wenig Scherung (meist unser Fall), was Zellen über weite vertikale Strecken rotieren lässt.

Das wichtigste Indiz, um was es sich handeln könnte liegt also in der Analyse von CAPE und Scherung, das können wir aus dem Sondenaufstieg von 14:00 ablesen:




..... die Werte sind erst mal ernüchternd. Mixed Cape liegt bei etwas über 300, es ist ein Deckel mit CIN -46 vorhanden, das Windprofil ist sehr schwach scherend. In den untersten 1500m liegt die Scherung bei nur 8kt (10kt Südost am Boden auf 10 kt Südwest in 850), der Deep Layer Shear zwischen 850 und 400 hPa liegt bei 15 kt. Alle Levels haben Winde um Süd herum. So sieht kein Superzellensounding aus, da wesentliche Kriterien der Scherung nicht erfüllt werden.

Hingegen nimmt das ausfällbare Wasser (PWAT)  immerhin Werte von 24 an, was nicht so schlecht ist.....


Gehen wir weiter. Es gibt noch bessere Bilder dieses Trichters....



.. da hängt eine fransige Struktur nach rechts (Westen) in Richtung des Niederschlages runter.

Es gibt noch was Besseres, nämlich ein ziemlich gutes Video der Zelle , gefilmt von J. Steinhäuser (Sykwarn.at), auf youtube zu bewundern:




Das Video beinhaltet den Titel das Wort Wallcloud, ich möchte das vorerst ausklammern sondern darauf eingehen was ich sehe:

Von Sekunde 42 bis 1:00 sieht man diese rotierende, fransige Struktur, die nach rechts richtung Westen und damit dem Niederschlag hängt. Man sieht, wie zeitweise kleine Fetzerln ferner ab enstehen und dann in dem Trichter aufgehen.

Von 1:00 bis 1:22 sieht man von weiter weg auf die Zelle. Augenscheinlich ist dass der Hauptteil der Wolkenbasis von links nach rechts zieht, aus SüdSüdost nach NordNordwest. Aus dem Trichter von vorher hat sich nun ein abgesenkter Wolkenteil entwickelt, der dem Niederschlag vorangestellt von Nordwest nach Südost durchs Bild zieht. Das Gesamtsystem scheint zu rotieren...

Hier ist es mal an der Zeit sich ein ausgeprägtes Exemplar einer unbestrittenen Superzelle anzusehen:




Dieses Trumm stammt nicht aus den USA sondern von der Ostküste Australiens. Im Lauf des Videos kommt ganz klar heraus dass der gesamte Wolkentrum schnell und bis in große Höhen rotiert, an der Basis ist die Wallcloud, ebenfalls rotierend sehr gut ausgeprägt. Die Wallcloud ist ein abgesenkter Teil der Wolkenbasis, sie markiert den Aufwindschlauch des Gewitters und ist deswegen abgesenkt, weil der Sog so stark ist dass schon Luft, die vom rückseitigen Regen bereits gekühlt wurde und damit ein tieferes Kondensationsniveau hat in den Aufwind gezwungen wird. Der Sog kommt von der starken Mesozyklone ein paar km höher.

Im Video aus Wien sieht man hingegen, dass , wenn man ganz genau hinsieht, nur dieser kleine abgesenkte Teil aus W-NW durchs Bild zieht, die Wolkenmassen dainter allerdings, genau wie die Wolkenmasse am Vorderrand aus Süd nach Nord. Hier rotiert also nicht die Basis, sondern der Wolkenteil fegt unter der Wolkenbasis aus einer anderen Richtung durchs Bild.

Gehen wir auf den Radarloop (ich hab nur die ganzen 2 Tage verfügbar, leider)


Darauf ist zu sehen, wie sich am Samstag am späten Vormittag Zellen ausgehend vom Grenzgebiet Niederösterreich/Steiermark zunächst langsam nach Norden verlagern und recht lange vor Wien stehen bleiben, ehe eine dann doch eher plötzlich den Sprung nach Osten macht, und in schneller Folge eine weitere Zelle über dem Nordswesten der Stadt aufpoopt und das ganze System hernach unter Beschleunigung stark linienförmig aussehend nach Nordosten ausbricht.

Es fällt also schwer hier von einer Zelle zu sprechen, es ist ein ganzer Verband aus zusammenhängenden Zellen. Noch deutlicher wird dies, sieht man sich die Einzelbilder an:






Zunächst zieht ein Zellendipol aus Südwesten herein, dann entwickelt sich vorlaufend über Döbling / Floridsdorf/Klosterneuburg eine neue Zelle, die im weiteren Verlauf die dominante Zelle wird, die hintere, ursprünglich starke Zelle geht ein.  Ein solches Verhalten sieht man oft in Multizellenkomplexen, wenn der Niederschlagsgekühlte Ausfluss einer Zelle die warme vorlaufende Luft hebt und so eine neue Zelle triggert. (Ausflusdominantes System)

Die Überschwemmung in Döbling war also quasi hausgemacht...... aber auch diese Zelle hatte anscheinend einen Trichter:




Nun blicken wir auf die neue Zelle über Döbling. Der Niederschlagsbereich ist der schwarze Vorhang links. Der Trichter hängt also nach links in den Niederschlagsbereich hinein (Nota bene, der erste, bei der Urzelle nach rechts).

Der Aufwindbereich ist gut definiert, allerdings sieht man keine abgesenkte Wolkenbasis (Wallcloud) sondern nur eben diesen Fasrigen Trichter. Es ist ein Fractus, der in dem Moment ensteht, wenn Regenluft mit tiefem Kondensationsniveau einbezogen wird, sich aber keine Wallcould daraus bildet, sondern ein Vorläufer der Böenfront (Arcus) der wiederum definierend für eine outflowdominate Squalline wird. Diesen Übergang vom Trichterl zum Arcus sieht man auch gut im zweiten Teil des Videos von Johannes Steinhäuser.

Das letzte Indiz ist die optische Erscheinung der Zellen.... hierzu bemühe ich mein eigenes YOUTUBE Video, das ich aus einzelslides der UBIMET CAM zusammengstellt habe:




Hier liegt der aussagende Teil am Anfang. Man beachte die Linie vom Zellen, die noch unter sonnigen Bedingungen am westlichen Bildrand vorbei ziehen. Die Türme sind ganz gerade, nahezu symmetrisch. In einer Umgebung , die Superzellen begünstigt, würde man schiefe Türme mit vorlaufenden Amboss und vielleicht auch einem zurückgescherten Amboss erwraten. Das ist aber nicht der Fall, im Gegenteil, die Form dieser Zellen passt hervorragend zum (schwachen) Scherungsprofil.


Damit ist der Indizienprozess abgeschlossen, ein Beweis fehlt mir, da ich ja nicht vor Ort war. Die Indizien deuten aber für mich darauf hin, das nicht alles, was eine super Zelle ist eine Superzelle ist, und auch nicht alles, was sich dreht eine Mesozyklone. Wir sehen meines Erachtens Nach in allen 3 Fällen die Ansätze der Bildung eines Arcus und dmit sprechen die Indizien gegen Superzelle und für eine multizellige Squalline.

LG

Manfred

1 Kommentar:

  1. Hallo Manfred,

    Ich stimme deinem Indizienprozess zu, so lange er das erste Gewitter bezogen ist, also jenes das vom südlichen Wienerwald bis in den Westen Wiens gewandert ist (und das auch auf eurer Webcam um 14:50 und im Youtube-Video zu sehen ist) - dieses war offenbar keine Superzelle. Für das zweite Gewitter, das für die Nussdorfer Sturzflut verantwortlich war und dann bis zur slowakischen Grenze gezogen ist, lässt sich aber ein gegenteiliger Indizienprozess führen. ;) Schon die konstant hohe Reflektivität und die beständig abweichende Zugbahn zwischen 13:30 und 15:30 UTC (siehe auch deinen eigenen Radarloop) sind recht auffällige Indizien. In Grinzing konnte ich am Abend - vier Stunden nach dem Unwetter - noch immer bis zu 3 cm große Hagelkörner finden. Zum Zeitpunkt des Fallens war der Hagel also nach konservativer Abschätzung bis zu 4 cm groß, was auch mit den massenhaft abgerissenen Blättern und Zweigen zusammenpasst; auch im Norden von Floridsdorf wurde 3 cm großer Hagel beobachtet. Die Erfahrung zeigt, dass sich so große Hagelkörner kaum ohne Rotation des Aufwindes erzeugen lassen, schon gar nicht bei so mickrigen CAPE-Werten wie am Samstag. Und nicht zuletzt hat Stefan H. mit Blick aus Nordosten beeindruckende Fotos und Zeitraffer geschossen, die zweifellose Superzellen-Strukturen und organisierte Rotation zeigen:

    http://www.skywarn.at/forum/viewtopic.php?f=6&t=19047

    Ich gebe dir Recht, dass das Windprofil der Wiener 12z-Radiosonde kaum Hinweise auf mögliche Superzellen beinhaltet. Allerdings wurde diese direkt an der Konvergenzlinie gestartet, sodass das gemessene Windprofil trotz der zeitlichen und räumlichen Nähe nicht unbedingt repräsentativ gewesen sein muss - die Winde waren dort südlicher und schwächer (durch vertikalen Impulstransport der aufsteigenden Luft) als bereits knapp östlich der Konvergenzlinie. Die Studenten unserer Lehrveranstaltung "Storm Chasing" an der Uni Wien sind an diesem Tag zunächst ins Wiener Becken ausgeschwärmt, und wir konnten vor den Gewittern an mehreren Standorten (Guntramsdorf, Baden, Leobersdorf, ...) stärkeren Südostwind wahrnehmen als von den Wiener Stationen direkt an der Konvergenzlinie gemessen. Auch der Flughafen Schwechat hatte Südostwind mit durchgehend 7-8 m/s und die Leiser Berge, vage repräsentativ für 500 m Höhe, sogar mit bis zu 10 m/s im Mittel. Und nicht zuletzt hat sich direkt über Wien unmittelbar vor dem Gewitter ein markantes Mesotief gebildet (siehe dir mal die Windmeldungen der Wiener Stationen von 14 UTC an!), an dessen Vorderseite der Wind in Donaufeld und Stammersdorf unmittelbar vor dem Gewitter sogar auf Nordosten drehte.

    Ich lade dich ein, selber die 0-3 km "storm-relative helicity" (SRH) mit einem modifizierten Windprofil aus der Wiener Radiosonde zu berechnen. Wenn du z.B. die bodennahen Messwerte von Donaufeld und die Messwerte von den Leiser Bergen in 500 Metern Höhe einsetzt und dazwischen nach eigenem Ermessen glättest, kommt schon eine SRH von etwa 80 m^2/s^2 heraus. Wenn du dann auch noch die von der Bunkers-Formel vorhergesagte Verlagerung des Gewitters (206° mit 8 m/s) durch die tatsächliche (~240° mit 7 m/s) ersetzt, steigt SRH auf etwa 150 m^2/s^2. Solche Werte können problemlos Superzellen unterstützen.

    Für mich ist dieser Fall ein lehrbuchhaftes Beispiel, wie kleinräumige Modifikationen des Windprofils doch eine Superzelle unter ansonsten unauffälligen großräumigen Bedingungen erzeugen können. Klar war das kein solches Gerät wie tags zuvor über dem Waldviertel (ebenfalls von unseren Studenten von fast allen Seiten beobachtet und "vermessen"), aber aufgrund der wie erwähnt bescheidenen Randbedingungen nicht minder beeindruckend.

    viele Grüße und trotz meines Einwandes ;) danke für die schöne Aufbereitung,
    Georg

    PS: Die diversen Wolkentrichter waren KEINE Tornados, hier bin ich argumentativ vollkommen bei dir.

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