Sonntag, 25. Dezember 2011

Superzellen, Hagel und Weltwetter (oder wie alles und nichts zusammenhängt)

Hallo,

eindringlicherweise die Warnung... das wird ein langer Eintrag und ist demnach nichts für Leser mit verkürzter Interessenshalbzeit. Ich möchte heute eine Weltwettergeschichte aufspannen, ausgehend vom kleinsten Masstab bis hin zur Betrachtung des aktuellen Welt(wetter)schmerzes. Wetter ist auch immer dort wo man ist, deswegen beginne ich die (vermeintliche) Kausalitätspriale in Melbourne, wo gestern schwerer Hagelschlag für 'weiße' Weihnachten gesorgt hat.

Kapitel 1: Die lokale Skala:

Die Ausgangslage für schwere und organisierte Gewitter war gut:


CAPE und Bodendruck:


Bodendruck und Bodenwind:


Position des Jetstreams:


Temperatur in 850 hPa:

Die Karten lasse ich natürlich nicht so stehen, sondern möchte im Detail darauf eingehen. Vom südlichen Indischen Ozean her kommend zieht eine Kaltfront auf Südostaustralien zu. Am Boden hat sich entlang der Front eine Welle mit einem kleinen, abgeschlossenen Tief gebildet. An der Südseite dieses kleinen Tiefs zirkuliert sehr warme und auch feuchte Luft, Luft die ihren Urspung über dem Warmen Meerwasser an der Ostseite des Kontinents hatte. Es ist ein typisches LA NINA Phänomen in Australien: Interaktion von Luft tropischen Ursprungs mit antarktischen Systemen.

Im Bereich des Tiefs kommt es zu sehr starken Windscherungen. Während in der hohen Atmosphäre trockene Luft mit hohen Geschwindigkeiten aus Westnordwest (Wüstenluft) über die Region fetzt, zirkuliert in den tiefen Schichten feuchte Luft aus Nord bis Nordost. Das resultiert in genügend hohen Scherungswerten, als Maßzahl dafür, in wiefern sich bei Gewittern (und die waren in jedem Fall zu erwarten) Phänomene wie Großhagel, Tornados etc pp. bilden können.

Hier nochmal 2 Links zu früheren Einträgen auf diesem Blog, die das *Warum* bei Superzellen ein bisschen beleuchten.

Superzelle I
Superzelle II


Der Aufstieg von Melbourne um ca. 11 Uhr Ortszeit, also ca. 4 Stunden vor dem Einsetzen der Gewitter:


Man sieht: kräftige Windzunahme in der Höhe, eine Absinkinversion (grüner Pfeil) und trockene Wüstenluft mit starker vertikaler Temperaturabnahme im Bereich zwischen 2000 und 4000m Höhe (roter Pfeil). 4 Stunden später ist die Temperatur auf 31.5 Grad gestiegen, das Sounding könnte so ausgesehen haben:


Des weiteren hat der Wind in der höheren Atmosphäre um gut 15 Knoten zugelegt, sowie bodennah der Nordwind an Stärke gewonnen. Es ist so gut wie kein Deckel mehr vorhanden, hochbasige und weithin sichtbar rotierende Konvektion setzt ein , in der Folge geht so manches Hausdach eben zu Bruch.

 [Klick um den Radarloop in einem neuen Fenster zu öffnen]




In Sunshine, einem westlichen Vorort der Stadt wird auch ein Tornado gesichtet, was einem bei diesem Setup nicht weiter wundert:


rotierende, junge Superzelle mit (vermutlich) gut ausgeprägter Wallcloud und Hagelwand, am 25.20.2011, ca 16 Uhr, nahe Lilydale ca 25km östlich von Melbourne.



Hagel dieser Zelle

Kapitel 2: Die Kontinentale Skala:

Zoomen wir nun auf den gesamten Kontinent:


Zwei weitere markante Systeme fallen auf:  Östlich von Queensland spiraliert ein Sturmtief, das aus dem Überbleibsel eines antarktischen Troges hervorging. Es handelt sich um eine aussergewöhnlich starke Subtropenzyklone.  Über dem Norden des Kontinentes nahe Darwin hat sich ein Zyklon (Grant) gebildet,



der langsam landeinwärts driftet und den Menschen dort Weihnachten vermiest. Grant wird später einen Kurs nach Osten über die Arafura Sea und weiter nach Cape York einschlagen und sich dabei heftigst ausregnen ...


Beide Systeme sind in ihrer Intensität eine direkte Folge von LA NINA, der pazifischen Meerestemperaturenanomalie mit warmem Wasser um Australien herum und besonders kaltem westlich von Südamerika:


LA NINA war mit ein Grund, warum die Philippinen unlängst so spät im Jahr noch einen Tropensturm mit verheerenden Folgen für die Bevölkerung abbekamen ... aber indirekt ist LA NINA global gesehen noch an mehr schuld...

Kapitel 3: Die globale Skala:


DAS NCEP berichtet, dass kimatologisch gesehen im La Nina Fall die Wahrscheinlichkeit für zu kalte Temperaturen im Nordosten der USA erhöht ist. Gleichzeitig tritt gehäuft in der Region auch ein Diplomuster der atlantischen Meeresoberflächentemperaturen auf, wie in der Prognose für den Jänner (Grafik links oben) zu sehen ist. Man kann sich leicht vorstellen, dass im Bereich des Übergangs der positiven zur negativen Anomalie die Entstehung von Zyklonen begünstigt ist. Das mag New York den einen oder anderen NorthEaster-Schneesturm bescheren, in Bezug auf Europa sind die Auswirkungen aber alles andere als 'positiv'. Ein tragisches Beispiel stellt die aktuelle Situation, die genau mit diesem Temperaturanomaliemuster in Zusammenhang steht, dar:



Dargestellt ist die Höhe der 500 hPa Fläche, die relative Topografie in Farben (ein Mass für die Temperatur der Atmosphäre). Wir sehen im Bereich der Anomalie einen Trogausbruch weit nach Süden, an dessen Vorderseite wird die Frontalzone einen weiten Keil aufspannend aber nach Nordskandinavien gelenkt, wo sie um diese Jahreszeit nicht hingehört. Bei so einer Konstallation geht man mit gewisser Andauer von weiterhin häufigen Zyklonenvorstössen mit Warmluftadvektion über Europa aus.

Irgendwo kommt die Frontalzone aber wieder nach Süden (what goes up, must come down) und das geschieht über dem äußersten Osten Europas.. bzw. Vorderasien:


mit dem Effekt, das bodennah die polare Kaltluft sgar den Himalaya überschritten hat und der Norden Indiens unter eine lange nicht dagewesenen Kältewelle dahinfriert. Weiters bemerkenswert für diesen Ausschnitt: Ein auffallend starkes Tropentief über dem Golf von Bengalen wo jetzt mitten in der Trockenzeit wirklich Ruhe sein sollte.. hier greifen der Einfluss aus Osten und der aus Westen ineinander und der Kreis schliesst sich irgendwie.


Was heisst das nun zusammenfassend für die kommenden Tage/Wochen: Der Osten Australiens muss sich weiterhin auf vergleichsweise wildes Wetter einstellen, der Norden auf mehr Zyklone als sonst.

Die Chancen auf eine nachhaltige Einwinterung in Europa sind erst mal minimal, solange bis *günstige* Kurzwellen die sehr milde Langwellenkonstellation unterminieren, denn das ungünstige Dipolmuster über dem Westatlantik wird weiter Bestand haben und uns so schnell nicht verlassen. Der Kältepol bleibt nach Kanada und Sibirien verschoben.

Man darf sich all das heute gesagte nicht als eine einzige Kausalitätskette vorstellen, es ist vielmehr ein aktueller Schnappschuss der Weltwettersysteme, die instantan miteinander verzahnt sind, aber in einer Woche schon auf ganz anderem Wege miteinander zusammen hängen können. Insofern stirbt die Hoffnung zuletzt, dass es in Absehbarer zeit wieder abwechslungsreiches Winterwetter in Zentraleuropa geben wird.

Lg

Manfred

8 Kommentare:

  1. Danke für die tolle Analyse, ich bin schon seit Längerem ein "stiller Mitleser".

    Bezüglich der "Dipol-Struktur" der SST am Atlantik möchte ich aber noch folgenden Chart zur Diskussion stellen:

    http://www.cpc.ncep.noaa.gov/products/people/wwang/cfs_verif/images/201110glbSST.gif

    Man sieht sehr schön, dass hier bereits von September bis November extreme Temperaturgegensätze gerechnet wurden, tatsächlich traten diese aber viel weniger deutlich auf. Trotz dieser extremen Gegensätze hat sich dieses "Modell" auch bezüglich der 2m Temps in diesem Zeitraum völlig "verhaut".

    Meine laienhaften Kenntnisse vermögen aber nicht zu sagen, was das nun wirklich bedeutet.

    lg

    aus dem schönen (und schneefreien) Wienerwald

    AntwortenLöschen
  2. Hallo,
    erst mal Danke für die Blumen :)

    @Dipol:
    Es gab seit längerem (ich hab das erste Mal im November darüber gelesen) eine Diskussion beim CPC über die Dipolstruktur und ja, sie ist viel schwächer als gerechnet.

    Dennoch sind 2 Dinge eingetreten, die man in den USA bei La Nina erwartet. Im Süden rauf bis in den Mittelwesten war es bislang (und auch jetzt gerade !) wärmer als im Mittel. Hier gab es eine deutliche Aufkeilung.

    Ausserdem gab es immer wieder Kaltluftvorstösse von Kanada und den Seen Richtung Ostküste, was vor der Küste die Zyklonenproduktion dramatisch angetrieben hat.

    Deswegen hab ich den Chart reingenommen !

    Lg

    Manfred

    AntwortenLöschen
  3. Hello. Thank you for the great analysis!

    I was looking back, and I noticed a similar or quite the same "setup" with the ENSO in 1967. And not surprisingly, the Europe pattern seems quite similar to some extent, compared to 1967. And the US situation is quite standard for this state of La Nina. I do believe that weak La Nina or neutral ENSO-, are favourable for a good storm season in central Europe. I have also seen the latest ENSO response reanalysis charts, showing a stronger La Nina/ENSO correlation with the storm season in Central Europe, then thought before. And if you look at this years La Nina, it had characteristics of a double La Nina, like in 1999, and also the storm season was similar to some extent. But of course, one case is not enough to prove anything. It would time and research, but I am positive that the correlation could be proved, like the studies have proved the correlation of ENSO and the Europe patterns in the Fall-Spring period, with the strongest signal being in winter. Of course, I am not talking about a direct ENSO effect, but the influence of the overall pattern change because of the ENSO and many other "indices". And there are also other oceanic and atmospheric oscillations worth pointing out. And also the sun cycles and so on. :)
    It is also interesting to point out the differences between each La Nina events. Here is a comparison of the ENSO 3 SST values in the Jul-Jan period. Left is 2010 and right is 2011.

    http://shrani.si/f/A/r4/4JVlSaWh/untitled.jpg

    We are dealing with a more "standard" anomaly this year and into the next year. So unlike last winter and spring, a more normal or expected La Nina response is occurring.

    But I would also like to point out a possible SSW event in the coming weeks. There are some possibilities of that happening. We all know what a game changer SSW can be, so it will be worth monitoring the upper levels. :)

    I could go on, but there is already too much text. And I apologise for it.

    Best regards, and thank you again.

    AntwortenLöschen
  4. Hi Andrej,

    I can neither agree nore disagree with your assumption, because I never thought about a correlation of the 'Nino's with the occurrence of severe storms in central Europe before :) Interesting thought, indeed !. One would assume that it needs a relatively southerly position of the polar front during the warm season in order to get the shear, as well as the advection of moist air from the mediterranean ahead of pronounced troughs. Whether such a pattern.. or let's say the frequency of such a pattern is correlated with weakening ENSO signals or not, I don't know, in all honesty.

    Concerning the circulation patterns in the northern hemisphere over the next couple of weeks, I would expext a certain change by middle or end of January. This is totally based on a funny feeling in the stomach and experience with other years.. (1993, 1999, 2005...), maybe because of a SSW :)

    Cheers

    Manfred !

    AntwortenLöschen
  5. Sorry das ich die hoch wissenschaftliche Diskussion hier störe.
    Ich möchte Herrn Spatzierer gerne mitteilen, dass sich dank seiner auch für Laien mitunter durchaus verständlichen Erklärungen zumindest meine " verkürzte Interessenshalbzeit " ( welch herrliches Wort !)ziemlich in Grenzen hält und eher im Gegenteil das Interesse am Wettergeschehen noch mehr weckt.
    Und dafür kann man nur sagen : DANKE !

    AntwortenLöschen
  6. Hallo Richard,

    vielleicht geziemt es sich nicht (wer, wem zuerst..), das anzubieten, dennoch, beim Bloggen und vor allem beim Wetter sind alle per Du :) Insofern, danke für das Interesse und das nette Feedback, das freut !

    Lg

    Manfred

    AntwortenLöschen
  7. Thanks for the response. :)

    Here you can find some words or more like a "Thesis" on the La Nina and the storm season. :) It`s just some of our thoughts. :) The text below the thesis was written by just me, so I would like to hear some feedback from you, on the whole thing. :)

    http://www.stormhunters-austria.com/t3811f26-La-Nina-Storm-season-in-central-Europe.html

    And I think that you are right, because I also believe that there will be a change, very likely because of the changing Stratospheric Activity. :)

    Best regards, and thank you.

    AntwortenLöschen

Da kenntat ja jeder kumman ...! Dennoch ... Hier ist Platz dafür :) !